Woher kommen denn die heftigen Auseinandersetzungen unter euch, woher die Machtkämpfe? Doch von den Begierden, die in euren Gliedern zum Krieg rüsten! 2 Ihr begehrt und habt doch nicht, ihr geht über Leichen und giert und könnt doch nicht erlangen, ihr kämpft und führt heftige Auseinandersetzungen. Ihr habt nichts, weil ihr nicht bittet. 3 Bittet ihr aber, so empfangt ihr nichts, weil ihr ver-kehrt bittet: Ihr bittet, um euren Begierden Befriedigung zu verschaf-fen. 4 Ihr Treulosen, wisst ihr nicht, dass Freundschaft mit der Welt Feindschaft gegen Gott ist? Wer der Welt Freund sein will, macht sich zum Feind Gottes.
Naht euch Gott, und er wird sich euch nahen! Reinigt eure Hände, ihr Sünder, und läutert eure Herzen, ihr Zweifler! 9 Wehklagt nur und trauert und weint! Euer Lachen verwandle sich in Klage und eure Freude in Kummer! 10 Erniedrigt euch vor dem Herrn, und er wird euch erhöhen.
Macht einander nicht schlecht, liebe Brüder und Schwestern! Wer seinen Bruder schlechtmacht oder über seinen Bruder urteilt, der macht das Gesetz schlecht und urteilt über das Gesetz. Wenn du aber über das Gesetz urteilst, dann bist du nicht Täter, sondern Richter des Gesetzes. 12 Einer nur ist Gesetzgeber und Richter, der kann retten und vernichten. Du aber, wer bist du, dass du über dei-nen Nächsten urteilst?

Jakobus 4

Liebe Gemeinde

Es ist krass, was nach diesen Aussagen im Bibeltext innerhalb einer christlichen Gemeinde zu Zeiten des Jakobus so alles abging. Von Auseinandersetzungen und Machtkämpfen ist die Rede. Und man geht über Leichen und macht einander schlecht. Apropos "einander schlecht machen".
Das erinnert mich fast etwas an den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf. Hat Donald Trump nicht einmal alle Araber als Terroristen bezeichnet, und alle Mexikaner als Drogendealer und Vergewaltiger und will deshalb eine Mauer an der Südgrenze der Vereinigten Staaten bauen? Und seine Gegnerin im Wahlkampf hat er im Rededuell mit der Frage blamiert: Wie sie denn als Präsidentin alle Amerikaner zufrieden stellen wolle, wenn sie nicht einmal ihren eigenen Mann habe befriedigen können. Aktuell teilt er Seitenhiebe aus, indem er die angeschlagene Gesundheit von Hillary Clinton breit schlägt. Aber auch die Gegenseite ist nicht auf den Kopf gefallen und versucht den umstrit-tenen Kandidaten irgendwie durch den Kakao zu ziehen und zu demontieren. Macht einander nicht schlecht. Das scheint in Amerika momentan nicht zu gel-ten. Und wie ist das bei uns?

Nicht wahr, die meisten von uns Schweizern stören sich eher an solchen un-appetitlichen Machtkämpfen und Schlammschlachten und sind froh, wenn dann die Wahl im November endlich entschieden ist. Wir gelten nicht von ungefähr weit über unsere Grenzen hinaus als höfliche, respektvolle, geduldige und freundliche Menschen. Und sagen zu allen Grüezi, Bonjour und Adieu. 

Aber meinen wir es auch so? Bei uns ist auch nicht alles Gold, was glänzt. Werden wir irgendwo eingeladen, und etwas mit dem Essen stimmt nicht, so sprechen wir wahrscheinlich erst auf der Heimreise im Auto darüber listen alle Mängel auf: Zuviel Salz in der Suppe, der Wein zu wenig kühl serviert, die Kinder der Gastgeber waren viel zu laut und einige gehässige Worte zwischen den Gastgebern!
Oder ein anderes Beispiel: Ruft jemand vom Callcenter wieder einmal uns an, so bleiben wir bis am Schluss am Hörer und bedanken uns vielleicht sogar noch für den Anruf und wünschen einen schönen Tag. Erst im Nachhinein schimpfen wir, dass wir dadurch beim Kochen oder beim Mittagessen gestört wurden. Und nennen erst im Nachhinein die aufdringliche Art des Verkäufers eine unverschämte Frechheit.

Ich will sagen: Vordergründig sind wir zwar häufig nett mit andern. Im Nachhinein kann es dann aber ins Gegenteil verkehren. Klar, es wäre nicht höflich, einfach dem Anrufer alle "Schlötterlig" auszuteilen und den Hörer aufzulegen. Oder dem Gastgeber ins Gesicht zu sagen, dass die Kinder nerven und sie eigentlich um diese Zeit ins Bett gehören. Das tut man nicht. Schon gar nicht beim feinen Dessert antönen, dass man das Gefühl habe, mit der Beziehung des Gegenübers stimme offenbar etwas nicht. Wir alle kennen das: Aus Höflichkeit sind wir manchmal nicht ganz ehrlich und finden vielleicht, es gehe uns ja eigentlich auch gar nichts an. Aber man hat im Nachhinein dann doch das Bedürfnis, mit andern darüber zu sprechen. Das ist ja auch nicht schlimm, finde ich.
Schlimm wird es erst, wenn man fast nur noch im Nachhinein und hintenherum über andere spricht und seine Meinung äussert und Kommentare abgibt. Dem Chef am Arbeitsplatz direkt zu widersprechen, ist ein Risiko und bräuchte Mut. Sich in einer politischen Angelegenheit zu Wort zu melden, dazu müsste man sich öffentlich engagieren. Leichter sagt man dann halt: Sollen die andern entscheiden. Die da oben stecken sowieso alle unter einer Decke, Politiker, Professoren, Pfaffen und machen, was sie wollen. Über andere schimpfen, nicht einmal mehr an die Urne gehen oder aus dem Verein oder der Kirche austreten und die Faust im Sack machen - auch das ist irgendwie schweizerisch.

Wissen Sie, man kann solches Verhalten zwar verstehen, aber es ist auch gefährlich. Man kann da leicht in einen Sumpf geraten: Hintenherum Reden, Andeutungen machen, falsche Gerüchte verbreiten.
Macht einander nicht schlecht. Jakobus warnt im Bibeltext davor, weil für die christliche Gemeinschaft und in der Kirche ist es verheerend, wenn man an-dern böse Absichten und verwerfliche Motive unterstellt.
Was genau ist verwerflich daran? Ich kenne einen Mann, er unterstellt seinem ehemaligen Geschäftspartner alles Schlimme. Dieser kann mittlerweile sagen und tun, was er will. Es ist alles nur noch schlecht in den Augen seines ehe-maligen Freundes. So kann es enden: Alles ist nur noch schlecht. Es kann das Todesurteil über einer Beziehung bedeuten, wenn man hinten herum statt direkt und ehrlich miteinander spricht.

Und noch etwas, wer andere schlecht macht, der macht über kurz oder lang auch sich selbst schlecht und das "Gesetz". Damit ist für Jakobus die Fähig-keit froh zu leben und zu lieben gemeint. Wenn wir unsere eigene Existenz gefährden, ist dies für den Jakobusbrief nicht einfach nur eine psychologische Binsenwahrheit. Dieser Erkenntnis liegt auch eine tiefe theologische Einsicht zugrunde.

Ich kenne eine ältere Frau, die ich sehr achte. Wenn ich mir ihr spreche, hütet sie sich davor etwas Schlechtes über andere zu sagen. Sie begründet das so: "Ich kenne ja diesen Menschen nicht, ich habe noch nie mit ihm persönlich gesprochen, ich halte mich im Urteil zurück. Ich müsste ihn zuerst treffen, ihm lange genug zuhören, ihm in die Augen sehen. Erst dann würde ich eine vor-läufige Meinung äussern. Und ich weiss auch, eigentlich steht mir gar kein Ur-teil zu."

Noch etwas fällt mir auf, wenn ich diese Frau besuche: Sie ist gütig und ge-duldig, wie ich es selbst nie sein könnte. Und ihr Goodwill reicht so weit, dass sie noch über den schlechtesten Menschen, den sie kennt, etwas Liebenswer-tes oder Verdienstvolles sagen kann. So, stelle ich es mir vor, ist es vermutlich mit Gott. Es gibt aus seiner Perspek-tive bei jedem von uns etwas, das Grund genug dafür ist, dass er uns lieb hat.

Liebe katholische und reformierte Mitchristen.Am eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag gehört es sich aus Tradition, dass wir selbstkritisch sind. Und schliesslich wollen wir doch glaubwürdig sein und ein gutes Vorbild für die Welt, nicht wahr. Weniger schlecht reden wollen wir deshalb übereinander, und mehr miteinander das Gespräch suchen. Nicht hintenherum, sondern so offen und ehrlich, wie nur möglich einander reinen Wein einschenken. 

Am Besten wäre es, wir könnten wie Freunde und Freundinnen sein, die ei-nander alles sagen können. Und wenn uns einmal ein beleidigendes Wort aus-rutscht oder eine Sicherung durchbrennt, dann bitten wir einander um Verzei-hung und finden wieder den Rank miteinander. Wir sind nicht im amerikani-schen Wahlkampf, sondern im richtigen Leben. Also noch einmal: Macht einander nicht schlecht, liebe Brüder und Schwestern!

Pfarrer Adrian Beyeler